Wir bringen zusammen, was zusammengehört. Ein generationenübergreifendes Gespräch über Beats und Bratsche.
Amelie Kollek ist gerade 18 geworden, hat ihr Abi in der Tasche und bringt als DJ regelmäßig die Tanzflächen in Schwung. Sie spielt seit zehn Jahren Schlagzeug und Percussions. Ihr Ziel: die Musikleidenschaft zum Beruf machen. Matthias Neumann, 63 Jahre, hat das längst geschafft. Als Bratschist spielt er seit 1991 im Wuppertaler Sinfonieorchester. Sein zweites Standbein ist die Fotografie.
Welche Rolle spielt Musik in eurem Leben?
Matthias: Musik ist eine Art sich auszudrücken. Es ist ein Geschenk, für Menschen spielen zu dürfen. Wir treten manchmal als Quartett im Altersheim auf und am Ende habe ich oft das Gefühl, dass ich sogar mehr davon mitnehme als die Senioren. Es gibt natürlich auch Schattenseiten. Der Vollzeitjob im Orchester ist eine enorme Belastung, körperlich wie auch mental. Man muss sich vorstellen, da sind neunzig Musiker, die auf einem Haufen hängen. Neunzig hochgezüchtete Rennpferdchen. Irgendwann steht die Musik nicht mehr im Vordergrund, sondern wer welchen Stuhl bekommt. Und auch die Lautstärke bei den Proben ist eine Belastung. Ich habe mal bei einer Vorstellung des Parzival meinen Puls gemessen. Hinter mir waren fünf Posaunen. Mein Puls war auf 170.
Amelie: Musik begleitet mich mein ganzes Leben. Ich war in der musikalischen Früherziehung und lange in der Musikschule. Musik ist aus meiner Sicht eine eigene Sprache, mit der man mehr als Worte sagen kann. Es ist doch faszinierend, dass Musik eine rein menschliche Sache ist. Wenn ich sehe, wie Menschen im Club zu meiner Musik tanzen und das genießen, dann finde ich das total spannend. Das ist einfach unendlich wertvoll für mich. Musik verbindet ganz unterschiedliche Menschen und sie umgibt uns 24 Stunden am Tag – im Radio, in der Werbung, im Club, im Laden, auf der Straße, einfach überall.
Social Media nervt. Man muss ständig etwas posten, um am Ball zu bleiben. Ich weigere mich, Generation TikTok zu sein.
Amelie Kollek
Was ist für euch gute Musik?
Matthias: Für mich ist wichtig, dass die Musik aus einem inneren Bedürfnis entsteht. Objektiv beherrscht ein Profimusiker sein Instrument vielleicht besser, aber entscheidend ist doch der subjektive Eindruck. Das ist ein bisschen wie im Fußball. Einer perfekten Mannschaft bei der Arbeit zuzusehen muss nicht unbedingt Spaß machen. Aber wenn Emotionen im Spiel sind, wird es interessant.
Amelie: Ich will mich da auch nicht festlegen. Mir gefallen viele verschiedene Richtungen, ich finde Sachen aus der Minimal Musik genauso interessant wie welche aus der Musique concrète. Mir gefällt aber auch Drum‘n‘Bass oder House. Oder alte Stücke aus der Romantik. Man kann sich von allem inspirieren lassen. Und es ist sehr situationsabhängig. Manchmal muss es harter Techno mit viel Basskick sein und manchmal ein Klavierstück von Erik Satie, wo pures Gefühl transportiert wird.
Haben sich eure Vorlieben verändert?
Matthias: In meiner Jugend habe ich fast nur Rock gehört. Ich habe Gitarre gespielt aber auch Geige. Eigentlich wollte ich Rockmusiker werden. Irgendwann bin ich durch Zufall in ein Amateursinfonieorchester gekommen und das hat mich total umgehauen. Im Studium musste ich vieles aufholen, weil ich im Vergleich zu meinen Kommilitonen spät dran war. Als ich dann im Sinfonieorchester war, habe ich privat viel Jazz und Pop gehört. Aber im Masterstudium Fotografie habe ich zum Beispiel viel Bach gehört, weil mir das beim konzentrierten Arbeiten geholfen hat. Ich finde auch deutschen Rap super. Nur mit Techno komme ich nicht so gut klar. Das liegt aber vor allem an der Lautstärke, die damit verbunden ist. Meine Ohren sind da vorgeschädigt. Deshalb nutze ich auch Ohrstöpsel, aber das ist bei der Arbeit im Orchester wie mit Socken in die Badewanne (lacht).
Amelie: Mein Musikgeschmack hat sich nicht viel verändert. Zur elektronischen Musik bin ich durch meine Schwester gekommen. Da habe ich mich sofort richtig reingesteigert. Erst House und UK-Dubstep, dann sanfter Techno, 80s-Synthpop, afrikanische Musik, alles Mögliche. Irgendwann habe ich angefangen, mich für die Samples zu interessieren. Ich versuche meinen Blick auf die Musik immer mehr zu erweitern, sodass ich einen riesigen Pool habe, den ich gerne höre. Beim DJing kann ich dann darauf zugreifen und mir für jede Situation das Richtige raussuchen.
Wie wichtig ist das Publikum?
Matthias: Extrem wichtig. Man merkt im Orchester sofort, ob das Publikum mitgeht oder nicht. Ein Konzert ist immer eine Art von Kommunikation und der Dirigent ist der Kommunikator, er reagiert darauf und erzählt das Stück – eine sehr anspruchsvolle Arbeit. Es geht um den richtigen Energiefluss. Das Interessante ist, wenn man merkt, dass die Kommunikation funktioniert, dann hebt sich das eigene Level um zehn, zwanzig Prozent. Man spielt einfach besser, wenn die Chemie stimmt.
Amelie: Es geht dabei ja um Präzision und Dynamik. Wenn man eine Geschichte erzählt, dann ist es wichtig, wie man das macht. Die Zuhörer reagieren darauf und lassen sich fesseln, erleben die Geschichte mit, wenn der Ton passt.
Was nervt euch an euerer Arbeit?
Amelie: Social Media nervt. Man muss ständig etwas posten, um am Ball zu bleiben. Ich weigere mich, Generation TikTok zu sein. Es ist furchtbar nach außen immer signalisieren zu müssen, ich bin da, ich bin so aktiv. Ich hasse es, nur etwas zu tun, um den Algorithmus zu füttern. Da habe ich einfach keine Lust drauf.
Matthias: Ich halte mich da ganz bewusst raus. Mit Selbstvermarktung habe ich durch die Fotografie Erfahrungen. Dann aber immer im persönlichen Kontakt. Ganz ohne geht es leider nicht: Wenn ich keine Bilder verkaufe, kann ich das nicht weitermachen. Ich habe das inzwischen akzeptiert, obwohl ich auch negative Erfahrungen gemacht habe.
Wie geht es für euch weiter?
Amelie: Im August starte ich meine Ausbildung als Elektronikerin für Geräte und Systeme. Ich freue mich schon drauf, zu sehen, wie große Festivals oder Sportevents hinter den Kulissen funktionieren. Mich interessiert die ganze Technik, das macht mir Spaß. Irgendwann würde ich auch gerne eigene Synthesizer bauen. Sowas reizt mich. Ich liebe diese Erfolgsmomente, wenn etwas am Ende einwandfrei funktioniert.
Matthias: Ich freue mich auf diverse Konzerte, die dieses Jahr noch anstehen. Für Ende August habe ich eine Fotoreise geplant. Außerdem mache ich eine Einzelausstellung. Alles schöne Dinge, die da noch kommen. Da freue ich mich drauf.
Vielen Dank für das Gespräch.
Interviewer: Marc Freudenhammer
Foto: Süleyman Kayaalp